Montag, 30. Juni 2025

Hetzrede

Das ist ja Meuterei.
Das gefällt mir. 
Das begrüße ich
aus ganzem Herzen. 
Ihr macht es richtig.
Lass euch nichts mehr gefallen,
wehrt euch, steht ein
für eure Rechte
und die Rechte aller,
verteidigt eure Würde,
verlangt eure Freiheit
und nehmt sie euch. 
Freiheit, Gerechtigkeit, 
Würde und Wohlergehen
für jeden einzelnen bedeutet
Freiheit, Gerechtigkeit, 
Würde und Wohlergehen
für alle. Ein gutes Ziel.
Werdet nicht selbst Unterdrücker,
lasst das Befehlen hinter euch
und das blinde Gehorchen.
Entscheidet euch selbstbestimmt
und gemeinsam für das Richtige
und haltet euch daran.
Arbeitet zusammen und füreinander.
Ihr könnt das.
Ihr könnt, was ihr wollt. 
Und was ihr nicht könnt,
könnt ihr voneinander lernen.
Der erste Schritt ist getan.
Ihr habt nein gesagt.
Jetzt gibt es kein Zurück mehr.
Jetzt müsst ihr ja sagen
zu einem besseren Leben.

Grund

Dass ich existiere,
kommt mir merkwürdig vor. 
Ich kapiere einfach nicht,
was das eigentlich soll.

Theseus verlässt das Labyrinth

Ich krieg da was zu fassen
und zieh einfach mal dran.
Es erweist sich als Faden. 
Ich wickle, wickle und wickle
den auf, bis schließlich
ein Knäuel herauskommt
und ich draußen bin.
Was für ein Held. 

Poesia povera

Kein Wort mehr
als unbedingt nötig, 
um nichts zu sagen
als das Wesentliche.

Poésie pure

Wisch die Metaphern weg,
all den anderen Dreck, 
den man dir einreden will
als Schönheit.

Sonntag, 29. Juni 2025

Zarte Gebilde 
aus Sonnenglast
oder Zikadenlärm
oder dem Duft reifen Korns
zerbersten an Grillanzündern 
und Tanzgedudel. 

Probleme eines Besserwissers

Auch dafür gibt es eine Lösung.
Aber sie wird euch nicht gefallen.
Ihr müsstet eure Leben ändern,
und das wolllt ihr nicht. Das ist mir klar.
Das ist ja überhaupt das Problem,
dass ich so viele Lösung weiß
für so viele Probleme, aber
ihr sie nicht wahrhaben wollt.
Darum steht es so schlecht um die Welt.
Hörte hingegen jeder auf mich,
wären alle Probleme gelöst.
Ihr lacht und schüttelt eure Köpfe,
aber so ist es nun einmal doch. 

Samstag, 28. Juni 2025

Wie vom Meer her
ein ferner Sommer dröhnt, 
so brütet die Sonne
unerbittlich auf allem
jenseits der Schatten. 
Sogar eine Pinie
ragt einfach ins Blau
unbeschwerteren Himmels.
Wenngleich du Zypresse sagst,
ist die Welt nicht gerettet. 
Oder doch. Aber anders,
als du dir vorstellen kannst.

Freitag, 27. Juni 2025

Tieferes Verständnis

Nicht der Krug,
welcher auch immer,
geht zum Brunnen, sondern
ein Mensch trägt ihn hin,
bis vielleicht irgendwann
der Krug zerbricht. 
Hör auf den Wind
und hör auf, den Wind
nicht zu hören. 
Die Luft an den Dingen:
ein ständiges Ringen
nach Luft. 
Und doch zerbirst
daran nichts, an dem
fast Unmerklichen,
das ich nennen kann,
wie ich will.

Ermahnung

Hör endlich auf mit dem Quatsch,
dich zum Opfer zu stilisieren,
das von bösen Mächten verfolgt wird.
Nichts davon stimmt.
Keiner ist hinter dir her,
keiner bedroht dich.
Dazu bist du nicht wichtig genug.
Keiner sperrt dich weg,
keiner foltert dich,
keiner befiehlt deine Erschießung
oder will dich ans Kreuz nageln.
Warum erzählst du solche Sachen?
Was versprichst du dir davon?
Geilst du dich an dem Unglück auf,
das dir nie widerfahren ist?
Dir geht es gut, gib’s doch zu,
du stellst dir das alles nur vor,
um dich wichtig zu machen.
Keiner will das lesen,
keiner glaubt dir das,
du bist ganz allein mit dem Quatsch.
Hör bloß auf damit. Du Opfer.

Ein Unbrauchbarer

Unpassend, immer schon gewesen,
irgendwie unangepasst,
nicht dazugehörig, schwierig,
nicht einzugliedern in das, was sein muss,
untauglich fürs Gewöhnliche,
sozusagen unberechenbar,
keiner, auf den man zählen kann,
wenn’s um Erwartbare geht,
zuverlässig unzuverlässig
in Sachen Normalität,
unangenehm erfinderisch
bei allem, was querliegt,
unverständlich, könnte man sagen,
geradezu abwegig,
verbohrt ins Rechthaben müssen,
verrannt ins Andersseinwollen.
keiner, auf den man hören will,
keiner, der einem schmeichelt,
ein Lästiger, Befremdlicher,
allzu Herausfordernder,
ein Unbrauchbarer, gewiss,
aber andererseits bitter nötig,
wenn sich irgendwas ändern soll
zum Bessren, sonst eher entbehrlich.

Mittwoch, 25. Juni 2025

Wehrlos

Die Wörter zögern nicht,
mich zu überfallen.
Sie treiben ihr Spiel mit mir. 
Ich habe sie nicht eigeladen,
sich machen sich einfach breit.
Oft verstehe ich nicht,
was sie von mir wollen. 
Ich versuche, Ruhe zu bewahren
und möglichst nichts zu tun, 
was sie verärgern könnte.
Sollen sie ihr Ding machen.
Man wird sehn. Vielleicht 
kommt ja dabei etwas heraus, 
was auch mir nützt. 

Mein Wort für euch

Macht mich fertig, lasst nichts aus,
zerschlagt mir die Glieder,
lasst mein Blut nur spritzen,
ganz wie es euch gefällt. 
Ich habe es mehr als verdient,
das weiß doch jeder. 
Unwürdig eures Mitleids,
Gegenstand eurer Verachtung,
keiner von euch, kaum noch ein Mensch,
ein Verräter von allem, was euch heilig ist,
muss ich endlich bezahlen
für meine Verbrechen.
Also schafft mich ab,
tilgt die Erinnerung an mich,
löscht meine Taten aus,
als wäre so die Gefahr
ein für alle Mal gebannt,
die mein Wort für euch ist.

Dienstag, 24. Juni 2025

Gut gemeinter Rat

Lasst mich nicht sofort draufgehn,
zögert es noch etwas hinaus
und genießt es. Quält mich,
demütigt mich vor mir selbst,
weidet euch an meinen Schmerzen,
und meiner Würdelosigkeit.
Lasst mich um mein Leben betteln
und dann um einen raschen Tod.
Ruiniert nicht die Situation 
durch Ungeduld oder Mitleid.
Macht euch eine gute Zeit mit mir. 
Ihr habt nur diese eine Chance,
mich sterben zu lassen,
verschwendet sie nicht.

Montag, 23. Juni 2025

Schatz

Die großen Worte zu wechseln
in gängige Münze,
ist nicht mein Geschäft.
Ich zahle vielmehr
allen meinen Schuldigern
in gleicher Münze heim,
scheue den Bankrott nicht
und präge nur selten
ein falsches Wort. 

Stand der Dinge (Litanei)

Die Dummheit triumphiert über die Klugheit.
Die Bosheit triumphiert über die Güte.
Der Irrsinn triumphiert über die Vernunft.
Der Krieg triumphiert über den Frieden.
Das Unrecht triumphiert über das Recht.
Die Gier triumphiert über die Verantwortung.
Die Angst triumphiert über die Fürsorge.
Das Leid triumphiert über die Freude.
Die Trauer triumphiert über das Glück.
Die Gleichgültigkeit triumphiert über die Solidarität.
Der Hochmut triumphiert über die Demut.
De Herrschsucht triumphiert über die Freiheitsliebe.
Die Lüge triumphiert über die Wahrheit.
Der Tod triumphiert über das Leben.
Der Wahn triumphiert über die Wirklichkeit.
Das Gegeneinander triumphiert über das Miteinander.
Der Egoismus triumphiert über den Gemeinsinn.
Die Geilheit triumphiert über die Würde.
Das Minderwertige triumphiert über über das Schöpferische.
Und was ist mit mir, was vermag all das,
was nicht nicht sein soll, über mich?
Zuweilen triumphiert meine Verzweiflung
über meine Zuversicht. Aber,
und es gibt ein Aber, ich glaube:
die Chöre der Engel triumphieren
über das Heer der heulenden Teufel.
Und das Ende wird von Ewigkeit her
triumphiert haben über den Schrecken.

Dienstag, 10. Juni 2025

Bezichtigung

Gebt zu, dass ich ein Schädling bin,
einer, den man zertreten muss
mit dem Stiefelabsatz.
Ein Saboteur, ein Klassenfeind,
ein Volksverräter, ein Spion,
ein Agent feindlicher Mächte.
Dekadent und verdorben,
verfault bis ins Mark hinein.
Ein Schwätzer, ein Spinner,
ein gefährlicher Narr,
ein notorisches Lügenmaul,
ein Hochstapler, Hütchenspieler,
Gesundbeter, Beutelschneider,  
schamloser Brunnenvergifter
Einer, dem man nicht trauen darf,
bei dem keine Hoffnung besteht
auf Besserung. Herausschneiden
muss man den aus dem Volkskörper,
ausmerzen für alle Zeit.
Gebt zu, dass ich so einer bin,
und macht endlich Schluss mit mir,
ihr gottverdammten Menschenschinder,
die der Teufel holen soll. Mehr
ist dazu nicht zu sagen.

Ein Menschheitsbeglücker

Manchmal muss man die Leute
eben zu ihrem Glück zwingen.
Das geschieht ja dann schließlich
nur zu ihrem Besten.
Sie würden selber wollen,
wozu sie verpflichtet sind, 
wenn sie nur nicht so stur wären
und so schrecklich verdorben.
Aber zum Glück gibt es ja
mich, der ich besser weiß,
was für jeden sein Glück ist.

Augurisches

Die Gedanken schwärmen aus
und kehren nicht wieder heim.
Was zurückkomt, sind andre,
völlig fremde Gedanken. 
So soll es sein. Je weniger
man im Voraus schon weiß,
was man gedacht haben wird,
desto aufregender ist,
wer wüsste das nicht, das Leben. 

Montag, 9. Juni 2025

Monströs

Immer schon war ich anders als ihr,
ein Monstrum. Etwas, auf das man
mit den Fingern zeigt und lacht,
weil es so schrecklich anders ist.
Mit mir musste man nicht reden,
mir hatte man nichts zu sagen,
und wenn ich sprach, war man erstaunt,
wie wunderschön das klang, so schön,
dass man dringend weghören musste.
So ist das geblieben. Immer noch
bin ich hässlich und unsichtbar,
seltsam unhörbar, wenn ich rede,
obwohl ich doch, wie jedermann weiß,
nichts zu sagen habe. 

Sonntag, 8. Juni 2025

Vom Laster gefallen

Man denkt sich nichts Böses,
man liest vielleicht irgendwas
oder hört gerade Musik
oder schaut bloß in die Luft,
und zack, ist ein Vers da,
einfach so, aus dem Hinterhalt
des Unterbewusstseins. 
Wo vorher keiner war,
ist jetzt einer und geht
nicht mehr weg, ist gekommen,
um zu bleiben, und will
andere nachziehen. Wie bitte?
Das wird ja immer schöner.
Wie soll man sich da wehren?
Das purzelt herbei,
das drängt sich dazu,
das zwängt sich herein,
das will untergebracht sein,
wie auch immer, was nicht passt,
wird passend gemacht.
Und wenn es dann reicht,
schreit einer: Fertig!
Das muss keineswegs stimmen.
Aber was soll man machen?
Am Ende ist es halt doch
immer irgendwie ein Gedicht. 

Gott mit Soße

Sie haben Gott eingefroren
und für später aufgehoben. 
Kann man ja immer mal brauchen.
Etwa, wenn Gäste kommen,
unerwartet, dann hat man was da,
was praktisch schon fertig ist.
Man braucht nur noch Beilagen,
Bratkartoffeln vielleicht oder Reis
oder Nudeln, Nudeln gehn schnell,
die hat man auch immer zu Hause. 

Freitag, 6. Juni 2025

Kleiner Grenzverkehr

Die sogenannten Verse
passieren der Reihe nach,
hübsch einer nach dem andern
treten sie vor, gehn weiter,
manche hasten vorüber
wie zu Paaren getrieben,
oder in ganzen Trauben
drängen sie heran, kommen
in wilden Rudeln sogar,
immer aber jedenfalls
geschehen sie mir, also
lass ich sie durch, warum nicht,
ich kontrolliere sie kaum,
was soll schon passieren,
schlimmstenfalls doch nur ein Gedicht. 

Donnerstag, 5. Juni 2025

Und siehe da

Keineswegs so großartig,
wie er immer gerne
hätte glauben wollen,
vielmehr erbärmlich,
so lächerlich erbärmlich,
wie er es immer schon
hatte befürchten müssen.

Mittwoch, 4. Juni 2025

Abgefertigt

Aber gewiss doch,
ich mache es mir gerne leicht,
ich nehme, was kommt,
wie es kommt, und mache
daran so wenig wie möglich,
nur gerade so viel,
dass ich sagen kann:
So, das war’s, das ist jetzt
mein Gedicht, mehr gibt’s nicht.

Altklug

Manchmal denke ich mir:
Jetzt rede ich fast schon
wie ein Erwachsener.
Dabei bin ich doch erst
neunundfünfzig. 

Montag, 2. Juni 2025

Überdrüssig

Was soll man dazu noch sagen?
Der schreibt und schreibt und schreibt
und kann sich nicht einbremsen 
und nennt es Gedichte.
Aber was soll's. Liest eh keiner.

Weiterleben

Du lebst dein Leben weiter
ohne mich. Sehr gut sogar.
Davon gehe ich aus.
Ich aber, ohne dich,
bin erheblich beschädigt.
Für den Rest meines Lebens
fehlt mir das Glück deiner Nähe
und der wahnsinnige Wunsch,
du könntest glücklich sein wollen
mit mir. Nein, der nicht. Der bleibt. 

Prosagedicht

Was das ist, wäre schon schwer zu sagen, wenn es denn existierte, so aber, wenn es das gar nicht gibt, wofür manches spricht, kann man auf sich beruhen lassen, was es wäre oder zu sein hätte. Ein Ding der Unmöglichkeit. Mehr nicht.

Vorderste Front

Heute war noch nie.
Und schon ist es wieder
ein bisschen später.
Die Zeit läuft davon.
Jedem. Immer. Aber
irgendwann nicht mehr. 

Vorschlag zur Güte

Weißt du denn was Besseres? Ich auch nicht. Lass uns also miteinander ausharren und das Ende erwarten. Dann sehen wir weiter.